Wände
„Gegeben ist eine Wand, was spielt sich dahinter ab?“
– Jean Tardieu
Ich bringe ein Bild an einer Wand an. Anschließend vergesse ich, daß da eine Wand ist. Ich weiß nicht mehr, was hinter dieser Wand ist, ich weiß nicht mehr, daß da eine Wand ist, ich weiß nicht mehr, daß diese Wand eine Wand ist. Ich weiß nicht mehr, daß es in meiner Wohnung Wände gibt und daß es, wenn es keine Wände gäbe, auch keine Wohnung gäbe. Die Wand ist nicht mehr das, was den Ort, an dem ich lebe, abgrenzt und bestimmt, das, was ihn von den anderen Orten trennt, an denen die anderen wohnen, sie ist nur noch ein Träger für das Bild. Aber ich vergesse auch das Bild, ich betrachte es nicht mehr, ich vermag es nicht mehr zu betrachten. Ich habe das Bild an der Wand angebracht, um zu vergessen, da da eine Wand ist, indem ich aber die Wand vergesse, vergesse ich auch das Bild. Es gibt Bilder, weil es Wände gibt. Man muß vergessen können, daß es Wände gibt und man hat hierzu nichts Besseres gefunden als die Bilder. Die Bilder löschen die Wände aus. Aber die Wände töten die Bilder. Oder aber man müßte beständig wechseln, entweder die Wand oder das Bild, müßte unaufhörlich andere Bilder an die Wände hängen oder die ganze Zeit über das Wandbild wechseln.
Man könnte auf seine Wände schreiben (so wie man manchmal auf Häuserfassaden, auf Bretterzäune an den Baustellen, auf Gefängnismauern schreibt), doch man tut es nur sehr selten.
aus: George Percec, Träume von Räumen*
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Walls
‚Granted there is a wall, what‘s going on behind it?‘
– Jean Tardieu
I put a picture up on a wall. Then I forget there is a wall. I no longer know what there is behind this wall, I no longer know
there is a wall, I no longer know this wall is a wall, I no longer know what a wall is. I no longer know that in my apartment there are walls, and that if there weren‘t any walls, there would be no apartment. The wall is no longer what delimits and defines the place where I live, that which separates it from the other places where other people live, it is nothing more than a support for the picture. But I also forget the picture, I no longer look at it, I no longer know how to look at it. I have put the picture on the wall so as to forget there was a wall, but in forgetting the wall, I forget the picture, too. There are pictures because there are walls. We have to be able to forget there are walls, and have found no better way to do that than pictures. Pictures efface walls. But walls kill pictures. So we need continually to be changing, either the wall or the picture, to be forever putting other pictures up on the walls, or else constantly moving the picture from one wall to another.
We could write on our walls (as we sometimes write on the fronts of houses, on fences round building sites and on the walls of prisons), but
we do it only very rarely.
from: George Perec, Species of Spaces*
* George Perec, Species of Spaces, orig. Espèces d'espaces [fr] (Paris: Galilée 1974)
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