In der indigenen Mythologie ist die Eule ein Symbol für Weisheit und Vorhersehung. So wirkt das Käuzchen auf Fritz Bornstücks Bild „Freischwinger“ wenig überrascht vom vorherrschenden entropischen Chaos, wie es sich durch einem Haufen Unrat erahnen lässt, auf welchem sie thront.
Die aufgetürmten Dinge wirken wie ein zerschundenes Skelett menschlicher Zivilisation, welches als mahnendes Stillleben der Verrottung preisgegeben ist.
Dabei steht es wie ein „Lichtdouble“ oder „Stand- in“ für ein menschliches Leben. Alle Bereiche des humanen Organismus finden sich hier verdinglicht wieder.
Ein Reifen erinnert an den Bewegungsapparat, ein Kochtopf und eine Kaffeekanne an Magen und Verdauung. Ein altes Ölfass und ein Ofenrohr durch das einmal ein heißer Atem zog , sind zu sehen und nicht zuletzt ein Computer, ein mechanisches Gehirn. Das Spaßhütchen symbolisiert die Party zum Jahresende und Beginn eines neues Jahres.
Immer wiederkehrend, aber nicht unendlich. Das Käuzchen ist der letzte Gast der Party, denn es hat eine wichtige Aufgabe.
Eulen waren einst als Unheilsboten verschrien und wurden mit dem Tod in Verbindung gebracht. Sie gaben dem Verstorbenen das letzte Geleit und begleiteten ihn beim Übergang von der Welt der Lebenden ins Totenreich, wo er mit einem fröhlichen „Huhu“ willkommen gehießen wurde. So hält das Käuzchen auf Bornstücks Bild ihre Wache auf einem Haufen Relikte eines menschlichen Alltags.
In vielen Bildern Bornstücks treffen Tiere auf diese Abfallprodukte zivilisierter Kulturen oder „Stand-Ins“. Dennoch prangern sie nichts an. Durch den beinahe beiläufigen Malduktus, gegenläufig zu der Farbigkeit , welche Bildern der Romantik entliehen ist, lässt sich an ein letztes Eulenzitat denken: „Eulen nach Athen tragen“, also etwas albernes tun, eine ureigenes, menschliches Talent, das zuversichtlich
stimmt.
S. Meschenmoser 9/22